Achtelfinale

Mich hat schon vor acht Jahren gestört, dass der WM-Gastgeber, weil er aus Gruppe A kommt, das Achtelfinale eröffnen muss. Bei einer Niederlage ist die Weltmeisterschaft für das Heimpublikum vorbei, bevor die K.O.-Runde richtig begonnen hat.
2006 war das nicht der Fall, im Gegenteil: Die erste Halbzeit von Deutschland-Schweden ist bei mir immer noch als schwungvollste und attraktivste Dreiviertelstunde der jüngeren deutschen WM-Geschichte abgespeichert.

Heute also Brasilien gegen Chile.
Da es momentan hip ist, "Power Rankings" aufzustellen, in denen die WM-Mannschaften nach Leistung und Leistungsvermögen sortiert werden, sieht man recht oft, dass beide Mannschaften unter den besten 5 Teams der WM 2014 einsortiert werden.
Das mag berechtigt sein, ändert aber nichts daran, dass heute abend gegen 20 oder spätestens 21 Uhr eine von beiden draußen sein wird, während 15 andere Mannschaften weiter vom Titel träumen dürfen.

Insofern könnte es sinnvoller sein, den K.O.-Runden-Baum zu betrachten und wie schon in der Vorrunde Vierergruppen zu bilden, aus denen sich zwangsläufig eine Mannschaft für das Halbfinale qualifiziert.


Gruppe I (heute):
Brasilien
Chile
Kolumbien
Uruguay
Definitiv die eindrucksvollste Vierergruppe: Uruguay wäre hier auch mit Suarez nur Außenseiter, ohne ihn ist es nahezu unvorstellbar, dass sie sich zwei mal durchsetzen.
Von Kolumbien habe ich während der WM kaum eine Live-Minute gesehen, aber alles, was ich im Nachhinein sah und las, war höchst beeindruckend. Chiles Gruppenspiel gegen die Niederlande kann man auch so interpretieren, dass der kraftraubende Fußball gegen Australien und Spanien bereits an die Substanz gegangen ist. Für einen großen Kampf gegen Brasilien müssen vielleicht schon die letzten Reserven angegangen werden.
Brasilien selbst hinkt hinter den Erwartungen zurück. Man sollte aber die Möglichkeit ins Auge fassen, dass das nicht nur an Brasilien, sondern vor allem auch an den Erwartungen liegt.
Halbfinal-Chancen:
BRA 40%
COL 35%
CHI 20%
URU 5%
Südamerika 100%

Gruppe II (Montag):
Frankreich
Nigeria
Deutschland
Algerien
Hier sind die beiden letzten Afrikaner gelandet und befinden sich in Außenseiterrollen. Algerien spielte zwar ein recht hübschen Ball in Gruppe H, aber ich halte es für möglich, dass wir in ein paar Jahren auf die Gruppe H von 2014 blicken und sagen: "Huch, stimmt, die waren ja auch alle dabei. Hatte ich längst vergessen."
Nigerias drei Spiele in der Gruppe F würde ich mit dünn, najaglückgehabt und tapfer beschreiben. Mit Tapferkeit und Glück ist gegen Frankreich etwas möglich, falls die Franzosen, wie gegen Ecuador angedeutet, in ihre alte Unfähigkeit, trotz Überlegenheit Tore zu erzielen, zurückfallen.
Anzunehmen ist das nach ihren ersten beiden Gruppenspielen aber nicht: Selten wirkte eine Mannschaft durch das Fehlen ihres Superstars so befreit wie Frankreich ohne Ribery: Gierig, direkt, schnell, schnörkellos, mit grenzwertig hartem Körpereinsatz. Wenn dieses Eigenschaften richtig kanalisiert werden, ist Frankreich stärkstens zu bachten.
Deutschland hat seine Rolle als WM-Mitfavorit in der Gruppenphase weder ausgebaut noch verloren. Das lustige Gekonter von 2010 wird es zwar kaum noch geben, aber in Sachen Spielkontrolle ist Deutschland nach dem Ausscheiden der Spanier weiltweit führend und in dieser virtuellen Gruppe II allemal.
Halbfinal-Chancen:
GER 50%
FRA 40%
ALG 5%
NGA 5%
Europa 90%
Afrika 10%

Gruppe III (Sonntag):
Niederlande
Mexiko
Costa Rica
Griechenland
Die Niederländer erinnern mich an Mannschaften aus meinen Kindertagen: Man kennt kaum fünf Namen, aber wenn man die WM-Spiele im Garten nachspielt, reicht es auch, in seiner Rolle als spielender Kommentator immerzu "Robben - van Persie - Robben!" zu krähen.
Schön anzuschauen jedenfalls, wenn eine so unterschiedlich talentierte Mannschaft von einem überdurchschnittlich talentierten Trainer ein funktionierendes System verpasst bekommt.
Nebenbei: Bei allem Messi-Neymar-Müller-Hype hieß der überragende Spieler der Vorrunde eindeutig Robben.
Mexiko hat bei der WM noch kein schlechtes Spiel gemacht: In dieser Vorrundengruppe A mit sieben Punkten abzuschließen, ist ein Zeichen von Klasse. Nach der WM-Quali, die sie mit fremder Späthilfe durch die USA mit Ach und Krach überstanden haben, war das schwer vorhersehbar.
Oder man hätte es vor der WM anders herum analysiert: Wenn sich Mexiko in der Quali so schwer getan hat, müssen die Mannschaften aus Mittelamerika, die vor ihnen einkamen, je vielleicht doch etwas draufhaben? Und siehe da: Costa Rica! Ich werde aus ihnen keinen WM-Favoriten machen, aber die lösbare Aufgabe gegen Griechenland ist eine schöne Belohnung für ihren spektakulären Gruppensieg gegen drei Ex-Weltmeister.
Griechenland, das mich seit 2004 nervt, weil es in den europäischen Quali-Gruppen seinen Gruppenkopfstatus mit Losglück immer wieder aufs Neue ermauert, hat mich gegen die Elfenbeinküste erstmals begeistert. Die Jungs haben ja Herz! Und können schießen! Eine Viertelfinalteilnahme bei dieser WM ist für mich nicht mehr der Horror, der sie noch letzte Woche gewesen wäre.
Halbfinal-Chancen:
NED 35%
MEX 30%
CRC 15%
GRE 20%
Europa: 55%
Nord-/Mittelamerika: 45%

Gruppe IV (Dienstag):
Argentinien
Schweiz
Belgien
USA
Argentinien ist hier der größte Name und der größte Name hat noch einen größten Namen: Messi spielt seine erste dominante WM. Und ich traue der ganzen Sache nicht: Ihre Gruppe war mir zu leicht, das Team wie 2010 in Offensivkünstler und nichtunterstützte Verteidiger geteilt, Messi zu oft im rechten Moment der Retter. Kann man 2014 noch Turniere gewinnen wie 1986? Mit einem Mann und bisschen Glück? Ich hoffe nicht, ehrlich gesagt.
Die Wahrnehmung der Schweiz wird mir bisschen zu sehr durch die schwarze Stunde gegen Frankreich dominiert. So schlecht sind sie nicht, obwohl ich ihre letzten Jahre in den europäischen Qualifikationen so ähnlich wie die der Griechen betrachte. Jedenfalls ist die Schweiz genau das Team, das ich gegen Argentinien sehen will: Ich denke, sie können ihnen weh tun.
Belgien war der Nichtgeheim-Geheimfavorit und hat in der Gruppe 9 Punkte geholt. Alles klar, oder? Nein, noch gar nichts klar, finde ich. Ziemlich hölzern, ziemlich glücklich, nicht unverwundbar. Aber der Baum spricht für sie: Keine Übermannschaft steht im Weg.
Die USA im Fußball: Da schreiben sich schöne Geschichten, wenn das mächtigste Land der Welt so langsam doch diesen schwuppigen europäischen Sport für sich entdeckt und die Geschichten werden in Deutschland noch bisschen länger, weil man sich den Klinsmann seit dem Sommermärchen so schön vorstellen kann, wie er ihnen erklärt, die anderen "through the wall" zu hauen. Mir sind die Amerikaner eher egal. Keine schlechte Mannschaft, aber erst recht keine gute. Muss ich nicht mehr oft sehen.
Halbfinal-Chancen:
ARG 30%
SUI 25%
BEL 30%
USA 15%
Europa 55%
Südamerika 30%
Nord-/Mittelamerika 15%

Leckerli zum Abschluss: Wenn Argentinien ins Halbfinale kommt, kann sich Europa den Titel abschminken.
Denn immer, wenn zwei Südamerikaner unter den besten vier Mannschaften waren, ging der Titel nach Südamerika (1950, 1962, 1978).

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